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FOCUS Politik 30.8.2001

 

Gericht gibt Rechtsextremen Recht

Die Bezeichnung „Zigeunerjude" für den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, ist für einen rechtsextremen Politiker aus dem Allgäu ohne strafrechtliche Folgen geblieben.

Das Landgericht hatte am Montag ein Urteil des Amtsgerichts Kempten aufgehoben, das den früheren Republikaner-Kreisvorsitzenden Hermann Josef Reichertz zu 6000 Mark Strafe wegen Beleidigung des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden verurteilt hatte.

Die Berufungskammer des Landgerichts Kempten hatte die Aussage „Zigeunerjude" als Werturteil bezeichnet, das Friedman nicht in seiner Persönlichkeit verletze und von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Die Begriffe „Zigeuner" und „Jude" seien wertneutral. Trotzdem missbillige die Berufungskammer diese Äußerung.

Mit dem Urteil hatte das Landgericht der Forderung der Verteidigung entsprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte gefordert, die Berufung von Reichertz zurückzuweisen. Der ehemalige Politiker hatte sich gegen eine Entscheidung des Amtsgericht Kempten gewandt, das ihn im März zu einer Geldstrafe von 6000 Mark (3068 Euro) verurteilt hatte.

28.08.01, 14:55 Uhr

 

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FOCUS Politik 30.8.2001

 

P O L I T I K

„Unerträgliches Urteil"

 

Nach dem Zentralrat der Juden haben auch die Sinti und Roma mit Empörung auf das „Zigeunerjuden"-Urteil reagiert. Ihr Zentralrat erklärte am Mittwoch, das unerträgliche Urteil müsse in der Revision gekippt werden. Die Verknüpfung der beiden Begriffe „Zigeuner" und „Jude" sei angetan, die Rassenideologie der Nazis wachzurufen.

„Offenbarungseid der Justiz"

Die Staatsanwaltschaft will den Freispruch nicht hinnehmen. Sie beantragte Revison.

Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland hatte empört reagiert und sprach davon, dass Teile der Justiz nicht nur auf dem rechten Auge blind, sondern auch auf beiden Ohren taub seien. Das Urteil des Landgerichts Kempten sei ein „Offenbarungseid der deutschen Justiz", zitierte die „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung" am Dienstag den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel.

Nach seiner Überzeugung ist dieses Urteil kein Einzelfall.

„Ich hatte immer gedacht, dass die Gerichte einen Schutzwall für die Opfer darstellen, jetzt ist es ein Schutzwall für die Täter", sagte Friedman, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, dem Nachrichtensender N24. „Wenn dieser Begriff keine Beleidigung ist, dann möchte ich wissen, was in Deutschland dann eine Beleidigung sein würde."

Der Freispruch legalisiere rassistische Hetze und ermutige Rechtsradikale, die Reizschwelle weiter zu verringern, so Spiegel. „Wenn Juristen einen solch eklatanten und eindeutigen Angriff auf die Menschenwürde als zulässige Meinungsäußerung gelten lassen, dann sind Versuche im Kampf gegen Menschenfeindlichkeit vergebens."

Auch der bayerische Innenminister Günther Beckstein bewertete die Äußerung des ehemaligen Oberallgäuer Republikaner-Chefs Hermann Josef Reichertz als „üble Hetze". Der CSU-Politiker zeigte sich überzeugt, dass das Bayerische Oberste Landesgericht den Freispruch aufheben werde. „Mit einer solchen Äußerung ist das Maß des Vertretbaren und Straflosen weit überschritten." Wenn die herabwürdigenden Attacken auf Friedman straflos blieben, könnte eine Flut von antisemitischen Folgeäußerungen ausgelöst werden.

 

29.08.01, 19:46 Uhr (Quelle: dpa/ap)

 

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Das Skandalurteil

"Fanta Vier" klagen gegen DVU

EU - Geld für antisemitische Bücher?

 

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FOCUS, 29.08.01

P O L I T I K

Geld für antisemitische Bücher?

 

Mit Geld der EU und Deutschlands werden offenbar antisemitische Schulbücher für Palästinenser finanziert. „Bild am Sonntag" und „Welt am Sonntag" berichteten, mit den Geldern würden Infrastruktur und Bildung in palästinensischen Gebieten gefördert und somit auch Schulbücher mit dem Lehrziel, Kinder zu Märtyrern im Heiligen Krieg gegen Israel zu erziehen. Das Auswärtige Amt wolle die Vorwürfe prüfen.

In den Schulbüchern heiße es unter anderem, dass Juden betrügerisch und unloyal seien und dass die Verfolgung der Juden in Deutschland in deren Raffgier und religiösem Fanatismus begründet gewesen sei. In Lehranweisungen werde als Erziehungsziel für Kinder und Jugendliche nicht Frieden, sondern Märtyrertum propagiert.

 

26.08.01, 12:18 Uhr

(Quelle: ap)

 

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Stuttgarter Nachrichten Politik 30.8.2001

 

Nach dem Urteil ist der Richter verreist

Der Fall Michel Friedman: Ist das Wort "Zigeunerjude'' beleidigend?

Kempten - Nach seinem umstrittenen Spruch trat der Vorsitzende Richter der Kemptener Berufungskammer erst einmal seinen Jahresurlaub an. Man möchte nicht unterstellen, dass ihm dies eine willkommene Flucht war. Doch drängt sich dieser Verdacht angesichts des beträchtlichen Wirbels, den das Kemptener "Zigeunerjuden''- Urteil verursacht hat, geradezu auf.

Von WILLI REINERS

Was ist geschehen? Das Landgericht Kempten hat am Montag den früheren Republikaner-Chef im Oberallgäu, Hermann Josef Reichertz, vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen. Reichertz hatte den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, in einer Presseerklärung als "Zigeunerjuden'' bezeichnet.

Dafür war der 65-Jährige vom Amtsgericht zu 6000 Mark Geldstrafe verurteilt worden. Diesen Spruch hob das Landgericht als Berufungsinstanz auf.

Begründung: Es handele sich um ein Werturteil, das Friedman nicht in seiner Persönlichkeit verletze und von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Die Bezeichnung "Zigeunerjude'' sei kein Angriff auf die Menschenwürde. Die Begriffe "Zigeuner'' und "Jude'' seien wertneutral. Das gelte auch für eine Zusammensetzung beider Worte, die das Gericht aber nicht billige.

Wie nicht anders zu erwarten, enthält Landgerichtspräsident Edgar Vavra sich am Tag danach einer Kommentierung des Berufungsurteils.

Er warte zunächst die schriftliche Begründung ab, die spätestens in fünf Wochen vorliegen müsse, sagt er unserer Zeitung. Er spricht vom "schwierigen Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz'' und verleiht seiner Verwunderung insoweit Ausdruck, als dass "ich mir auch andere Entscheidungen hätte vorstellen können''.

Auch der Leiter der Staatsanwaltschaft Kempten, Günther Meltendorf, sieht dem Schriftsatz des auf Reisen befindlichen Berufungsrichters mit Spannung entgegen. Er sieht nicht nur in dem Wort "Zigeunerjude'', sondern in der gesamten Presseerklärung des Republikaners eine "massivie Beschimpfung'' Friedmans. Seine Behörde hat deshalb sofort Revision eingelegt. Mit ihr wird sich das Bayerische Oberste Landesgericht zu befassen haben.

Klare Worte hatte am Tag des Urteils Bayerns Innenminister Günter Beckstein (CSU) gefunden. Die Äußerungen des Republikaners halte er bei aller Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit für "üble Hetze''. Er warnte davor, dass durch Straffreiheit eine Flut antisemitischer Folgeäußerungen ausgelöst werden könne. Er sei überzeugt, dass die nächste Instanz feststellen werde, dass mit einer "solchen infamen Äußerung'' das Maß des Straflosen weit überschritten sei.

Friedman und der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, hatten von einem "Offenbarungseid der Justiz'' gesprochen. "Ich hatte immer gedacht, dass die Gerichte einen Schutzwall für die Opfer darstellen, jetzt ist es ein Schutzwall für die Täter'', erklärte Friedman. Wenn er nicht beleidigt worden sei, "dann möchte ich wissen, was in Deutschland eine Beleidigung ist''.

 

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Tagesspiegel Kultur 30.8.2001

 

Potsdamer Neueste Nachrichten 30.8.2001

"Zigeunerjuden"-Urteil: Die Beleidigung

Die Beleidigung

Harald Martenstein über das Urteil aus Bayern

Ja, wenn der der bayrische Republikaner den Michel Friedman eine "rasende Weißwurst" genannt hätte! Oder "Waschbrettkopf"! Da hätte er jetzt eine Menge Ärger.

Beides ist verboten, dazu gibt es Urteile. Die Weißwurst-Injurie stammt aus der "taz" und richtete sich gegen den Rennrodler Schorsch Hackl, das Waschbrettwort war von Wiglaf Droste und richtete sich an die Adresse eines Feldjägers der Bundeswehr. Für den Waschbrettkopf musste Droste 2100 Mark Strafe zahlen. Dem bayrischen Republikaner hat es aber gefallen, den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden einen "Zigeunerjuden" zu nennen. Das Landgericht Kempten hat auf Freispruch erkannt, mit der - vorerst nur mündlichen - Begründung, dass "Jude" oder "Zigeuner" schließlich keine Schimpfwörter seien.

Die Schlitzohrigkeit dieser Begründung ist in den ersten Kommentaren nicht genügend gewürdigt worden. Es stimmt ja! Wo käme man hin, wenn "Jude" in den Kanon der deutschen Beschimpfungen aufgenommen würde? Der Richter hat sich, falls er nicht tatsächlich ein Dummkopf sein sollte, dumm gestellt. Ein Freund der Juden, dieser Kemptener Richter. Aus einem ähnlichen Geist der Freundlichkeit entstand auch das angenehme Wort "Schutzgebiete", das man früher für die Kolonien zu verwenden pflegte, oder die fürsorgliche "Schutzhaft", in der einst die deutschen Juden und andere gefährdete Subjekte vor dem Volkszorn in Sicherheit gebracht wurden. Diese spezielle Variante von Fürsorge ist schlimmer als jede offene Feindschaft.

Bei den Beleidigungen muss sich die Justiz auf ein Feld begeben, dass sie sonst mit gutem Grund meidet, nämlich auf das Gebiet der Absichten und der Gefühle. Es kommt auf die beleidigende Absicht des Täters an, und auf die verletzten Gefühle des Opfers.

Der Urteilsspielraum ist groß, weil über alledem das Verfassungsprinzip der Kunst- und Meinungsfreiheit thront. Das gleiche Wort hat unterschiedliche Bedeutung, je nachdem, in welchem Milieu und in welchem Kontext es verwendet wird - als Frozzelei, als Satire, als gezielter Hieb. Im Bierzelt der Republikaner oder auf einer Premierenparty beim BE.

Verschiedene Sprachen. Da hilft womöglich nur Linguistik. Jude ist kein Schimpfwort, stimmt. Den Kemptener Kammer-Vorsitzenden möchte der Verfasser dieser Zeilen ausdrücklich als "urteilende Weißwurst" bezeichnen, unter besonderer Betonung seiner Vorliebe für diese leckere Speise, die - gerade in Deutschland! - vor jeder Verächtlichmachung geschützt werden sollte. Wer von beiden klagt jetzt, die Wurst oder der Richter?

 

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Tagesspiegel Vermischtes 30.8.2001

 

Michel Friedman: Recht einfach gemacht -- fk

Zwei Rechte prallen aufeinander: Das des einen, frei seine Meinung zu äußern, auch wenn sie in ätzender Kritik an der Person des anderen besteht. Und das Persönlichkeitsrecht des anderen, zu dessen Schutzbereich auch seine Menschenwürde und seine Ehre gehören. Beide stehen in engem Zusammenhang: Je mehr als Meinungsäußerung durchgeht, desto kleiner wird der Bereich, in dem Beleidigungen möglich sind. Dann kommt der Einzelfall, und das Gericht muss abwägen. Das Landgericht Kempten hat es sich dabei recht einfach gemacht. Als "Zigeunerjuden" hatte der ehemalige Republikanerchef im Oberallgäu, Hermann Josef Reichertz, den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, bezeichnet. Friedman stellte Strafantrag. In erster Instanz wurde Reichertz verurteilt, in zweiter Instanz freigesprochen. Denn: "Zigeuner" und "Jude" seien neutrale Begriffe. Also könne das zusammengesetzte Wort ja keine Beleidigung sein. Das Gericht missbillige zwar die Äußerung, halte sie aber für eine zulässige Meinungsäußerung. Ein wenig naiv mutet diese Erklärung schon an. Friedmans These, Reichertz habe die beiden schlimmsten Dinge, die er kennt, zu einem Schimpfwort zusammengezogen, hat das Gericht offenbar nicht erwogen. Oder doch? Das wird frühestens in zwei Wochen zu erfahren sein: Der Richter ist nach der Verkündung erstmal in Urlaub gefahren. Die Begründung kommt später, politischer Instinkt wohl nie.

 

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Tagesspiegel, Innenpolitik 29.08.2001

 

Michel Friedman

Vizepräsident des Zentralrats der Juden fordert einen "Aufstand der Zuständigen"

Staatsanwaltschaft legt Revision gegen "Zigeunerjude"-Urteil ein

Fatina Keilani

 

Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, hat sich empört über das Urteil des Landgerichts Kempten geäußert, wonach er als "Zigeunerjude" bezeichnet werden darf. "Das ist ein unerträgliches Fehlurteil", sagte Friedman dem Tagesspiegel am Dienstag. "Das Gericht wird seiner Schutzfunktion gegenüber den Opfern nicht gerecht." Das Urteil sei eine Ermutigung an Rechtsradikale, auf dem Weg der persönlichen Beleidigungen weiterzugehen. Friedman forderte, zu dem vom Bundeskanzler geforderten "Aufstand der Anständigen" müsse ein "Aufstand der Zuständigen" kommen.

Die zuständige Staatsanwaltschaft legte am Dienstag Revision ein. Am Montag hatte das Landgericht Kempten den früheren Republikaner-Vorsitzenden im Oberallgäu, Hermann Josef Reichertz, vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen. Reichertz hatte Friedman als "Zigeunerjuden" bezeichnet. Das Gericht sah darin eine zulässige Meinungsäußerung. "Jude ist das schlimmste Schimpfwort, das Rechtsradikale überhaupt verwenden. Dagegen ist Drecksau noch freundlich gemeint", sagte Friedman.

Der Zentralratsvorsitzende Paul Spiegel bezeichnete das Urteil am Dienstag als "Offenbarungseid der deutschen Justiz". Spiegel sagte der "Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung", der Freispruch legalisiere rassistische Hetze und ermutige Rechtsradikale, die Reizschwelle weiter zu verringern. "Wenn Juristen einen solch eklatanten und eindeutigen Angriff auf die Menschenwürde als zulässige Meinungsäußerung gelten lassen, dann sind Versuche im Kampf gegen Menschenfeindlichkeit und damit Rassismus und Antisemitismus vergebens."

Der Präsident des Kemptener Landgerichts, Edgar Vavra, räumte ein, dass die Entscheidung des Gerichts zweifelhaft ist. "In diesem schwierigen Bereich hätte man sich auch eine andere Entscheidung vorstellen können", sagte er dem Tagesspiegel. Die schriftliche Begründung des Urteils werde frühestens in zwei Wochen vorliegen. Der zuständige Richter sei nach der Verkündung in den Urlaub abgereist.

 

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Thüringer Allgemeine Vermischtes 30.8.2001

 

Empörung nach Urteil

Scharf verurteilt hat der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma das Urteil des Landgerichts Kempten, nach dem der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, ungestraft als "Zigeunerjude" bezeichnet werden darf. Die Staatsanwaltschaft will das Urteil nicht hinnehmen und beantragte am Dienstag Revision.

Das Landgericht Kempten hatte den früheren Republikaner-Chef im Oberallgäu, Hermann Josef Reichertz (65), am Montag in zweiter Instanz von dem Vorwurf freigesprochen, Friedman, beleidigt zu haben. Reichertz hatte Friedman im November in einer Presseerklärung als "Zigeunerjuden" bezeichnet. Friedman und der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, hatten das das Urteil einen Offenbarungseid der deutschen Justiz genannt. "Ich hatte immer gedacht, dass die Gerichte einen Schutzwall für die Opfer darstellen, jetzt ist es ein Schutzwall für die Täter", sagte Friedman.

Spiegel, sagte, der Freispruch legalisiere rassistische Hetze und ermutige Rechtsradikale. Leider sei das Urteil kein Einzelfall. Teile der deutschen Justiz seien nicht nur auf dem rechten Auge blind seien, sondern auch auf beiden Ohren taub.

Mit dem Freispruch habe das Gericht Tür und Tor für einen Tabubruch geöffnet und Wasser auf die Mühlen der Rechtsradikalen geschaufelt", erklärte Rose gestern. Die von den Nationalsozialisten propagierten rassistischen Klischees über "Zigeuner" und "Juden" lebten im Falle der Sinti und Roma auch nach 1945 mit den Vorurteilen gegen "Zigeuner" bei Behörden und in der "Mehrheitsbevölkerung" fort. Die Verknüpfung der beiden Begriffe zu "Zigeunerjude" sei dazu angetan, die alte NS-Rassenideologie wieder wachzurufen, so Rose. Der Zentralrat erwarte, dass das "unerträgliche" Urteil aufgehoben wird. Die Justiz müsse "ihre Toleranz für rechtsradikales Gedankengut" beenden.

Nach den Worten des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU) darf das Urteil "nicht das letzte Richter-Wort in dieser Sache" sein. Die Äußerung sei üble Hetze. Wenn solche Attacken straflos blieben, bestehe die Gefahr einer Flut von antisemitischen Äußerungen. Die nächste Instanz werde feststellen, dass mit einer solchen Äußerung das Maß des Vertretbaren überschritten sei.

Die Berufungskammer des Landgerichts Kempten hatte die Aussage als Werturteil gewertet, das Friedman nicht in seiner Persönlichkeit verletze und von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Die Bezeichnung "Zigeunerjude" sei kein Angriff auf die Menschenwürde. Die Begriffe "Zigeuner" und "Jude" seien wertneutral. Trotzdem missbillige die Berufungskammer diese Äußerung. Mit der Entscheidung hob das Landgericht ein Urteil des Amtsgericht Kempten auf, das Reichertz im März zu 6000 Mark (3067 Euro) Geldstrafe verurteilt hatte. Dpa

 

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Augsburger Allgemeine Lokales 30.8.2001

 

Rep-Funktionär bekommt Ärger mit seiner Partei

Weiter Empörung nach „Zigeunerjuden"-Urteil

Kempten/Heidelberg (ves/KNA).

Die massive Kritik am „Zigeunerjuden"-Urteil des Landgerichts Kempten hält an. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg äußerte Empörung und forderte eine Aufhebung des „unerträglichen Urteils" in der Revision.

Wie mehrfach berichtet, hatte das Landgericht Kempten einen Ex-Funktionär der rechtsextremen Republikaner vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen. Der ehemalige Oberallgäuer Kreisvorsitzende Hermann Reichertz hatte Michel Friedman, den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, mit dem Wort „Zigeunerjude" belegt. Jetzt geht der Bezirksverband der Republikaner gegen Reichertz vor. Anlass ist eine Pressemitteilung mit offiziellem Partei-Briefkopf, die Reichertz zu seinem Freispruch herausgegeben hat. „Das darf er aber nicht", ist der Bezirksvorsitzende Klaus Schwarz empört. Zudem werte er „Zigeunerjude" nach wie vor als Beleidigung, die die Partei nicht vertreten könne.

Nachdem Reichertz Michel Friedman, einen „Zigeunerjuden" genannt hatte, habe die Vorstandschaft ihm damals nahe gelegt, seine Ämter abzugeben. Dies habe Reichertz dann auch getan, er sei nur noch einfaches Mitglied. Äußerungen zu dem Freispruch seien seine Privatsache, so Schwarz.

 

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Augsburger Allgemeine Lokales 30.8.2001

 

Kemptener Urteil sorgt für Wirbel

Justizministerium verweist auf Richter-Unabhängigkeit

Kempten (sh/mun).

Das umstrittene „Zigeunerjuden"-Urteil des Kemptener Landgerichts sorgt bundesweit für Wirbel. In einer Berufungsverhandlung hatte das Gericht den ehemaligen Republikaner-Kreisvorsitzenden und früheren Berufssoldaten Hermann Reichertz vom Vorwurf freigesprochen, den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, beleidigt zu haben. In einer Presseerklärung hatte Reichertz im November 2000 Friedman als „Zigeunerjuden" bezeichnet.

Am Dienstag standen die Telefone in der Kemptener Justizbehörde nicht mehr still. Landgerichts-Präsident Edgar Vavra gab aber keinen Kommentar zu dem Urteil ab. Er verwies auf die richterliche Unabhängigkeit. Vavra meinte aber im Hinblick auf ähnlich gelagerte Urteile, die Grenzziehung zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung einerseits und der Ehrkränkung von Personen andererseits werde für die Justiz immer schwieriger. Auch bei Uwe Erlbeck, Staatsanwalt als Gruppenleiter, gingen gestern zahlreiche Anfragen von Journalisten ein. Erlbeck zufolge ist derzeit noch nicht abzusehen, wann das Bayerische Oberste Landesgericht (OLG) über den bereits am Montag eingereichten Revisionsantrag entscheidet. „Der Berufungsrichter hat nun fünf Wochen Zeit, um seine Urteilsbegründung schriftlich auszuarbeiten", erklärt Erlbeck. Diese Begründung werde dann der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Diese müsse innerhalb von weiteren vier Wochen schriftlich die Gründe für eine Revision darlegen und an das OLG weitergeben. Dort wird dann entschieden, ob die Revision zulässig ist.

Beckstein: „Üble Hetze"

Das Bayerische Justizministerium war am Dienstag zu keiner Stellungnahme bereit. Auch dort beruft man sich auf die richterliche Unabhängigkeit. Sehr deutliche Worte fand dagegen Bayerns Innenminister Günter Beckstein. Er brandmarkte die Äußerungen des Rep-Funktionäres als „üble Hetze" und zeigte sich überzeugt, dass der Freispruch in der nächsten Instanz aufgehoben werde. Beckstein: „Für die Zeit bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung warne ich vor allem die rechtsextremistische und antisemitische Szene davor zu glauben, es seien für die verqueren Ideologien günstigere Zeiten angebrochen. Der Freistaat Bayern wird dagegen auch weiterhin mit aller Härte vorgehen."

Nicht die erste Entgleisung

Der jetzt freigesprochene, frühere Republikaner-Kreisvorsitzende Hermann Reichertz hatte in seiner Amtszeit immer wieder in Presseerklärungen antisemitische Äußerungen in „Stürmer"-Manier von sich gegeben. Die etablierten Parteien hatte er wiederholt als extremistisch, faschistisch oder deutschfeindlich bezeichnet.

 

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Potsdamer Neueste Nachrichten Wirtschaft 30.8.2001

 

Michel Friedman

Vizepräsident des Zentralrats der Juden fordert einen "Aufstand der Zuständigen"

Staatsanwaltschaft legt Revision gegen "Zigeunerjude"-Urteil ein

Von Fatina Keilani

29.08.2001

Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, hat sich empört über das Urteil des Landgerichts Kempten geäußert, wonach er als "Zigeunerjude" bezeichnet werden darf. "Das ist ein unerträgliches Fehlurteil", sagte Friedman dem Tagesspiegel am Dienstag. "Das Gericht wird seiner Schutzfunktion gegenüber den Opfern nicht gerecht." Das Urteil sei eine Ermutigung an Rechtsradikale, auf dem Weg der persönlichen Beleidigungen weiterzugehen. Friedman forderte, zu dem vom Bundeskanzler geforderten "Aufstand der Anständigen" müsse ein "Aufstand der Zuständigen" kommen.

Die zuständige Staatsanwaltschaft legte am Dienstag Revision ein. Am Montag hatte das Landgericht Kempten den früheren Republikaner-Vorsitzenden im Oberallgäu, Hermann Josef Reichertz, vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen. Reichertz hatte Friedman als "Zigeunerjuden" bezeichnet. Das Gericht sah darin eine zulässige Meinungsäußerung. "Jude ist das schlimmste Schimpfwort, das Rechtsradikale überhaupt verwenden. Dagegen ist Drecksau noch freundlich gemeint", sagte Friedman.

Der Zentralratsvorsitzende Paul Spiegel bezeichnete das Urteil am Dienstag als "Offenbarungseid der deutschen Justiz". Spiegel sagte der "Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung", der Freispruch legalisiere rassistische Hetze und ermutige Rechtsradikale, die Reizschwelle weiter zu verringern. "Wenn Juristen einen solch eklatanten und eindeutigen Angriff auf die Menschenwürde als zulässige Meinungsäußerung gelten lassen, dann sind Versuche im Kampf gegen Menschenfeindlichkeit und damit Rassismus und Antisemitismus vergebens."

Der Präsident des Kemptener Landgerichts, Edgar Vavra, räumte ein, dass die Entscheidung des Gerichts zweifelhaft ist. "In diesem schwierigen Bereich hätte man sich auch eine andere Entscheidung vorstellen können", sagte er dem Tagesspiegel. Die schriftliche Begründung des Urteils werde frühestens in zwei Wochen vorliegen. Der zuständige Richter sei nach der Verkündung in den Urlaub abgereist.

 

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Allgäuer Zeitung Lokales 29.8.2001

 

Reichertz in eigener Partei unter Kritik

Ausschluss wird erwogen

Kempten/Heidelberg (ves/kna). Erneut geht der schwäbische Bezirksverband der Republikaner gegen den ehemaligen Oberallgäuer Kreisvorsitzenden Hermann Reichertz vor. Anlass ist eine Pressemitteilung mit offiziellem Partei-Briefkopf, die Reichertz zu seinem Freispruch herausgegeben hat. "Das darf er aber nicht", ist der Bezirksvorsitzende Klaus Schwarz empört. Zudem werte er "Zigeunerjude" nach wie vor als Beleidigung, die die Partei nicht vertreten könne. Deshalb hatte Reichertz seinerzeit ­ wie berichtet ­ sein Amt verloren.

Nachdem Reichertz den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, einen "Zigeunerjuden" genannt hatte, habe die Vorstandschaft ihm nahe gelegt, seine Ämter abzugeben, schildert Schwarz. Dies habe Reichertz dann auch getan, er sei nur noch einfaches Mitglied. Äußerungen zu dem Urteil seien demnach Reichertz' "Privatsache, er darf nicht für uns als Partei sprechen". Nun würde gegen Reichertz vorgegangen ­ wie, das müsse noch abgesprochen werden.

Zudem warte die Partei ein endgültiges Urteil (die Staatsanwaltschaft will in Revision gehen) ab, um ein Schiedsgericht wegen eines eventuellen Parteiausschlusses von Reichertz anzurufen. "Wir vertraten schon damals den Standpunkt, dass es sich um eine persönliche Beleidigung handelt", sagt Schwarz.

Der Begriff "Zigeunerjude" ist laut dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma dazu angetan, alte Rassenideologien wieder wachzurufen. Das Kemptener Urteil empfindet er deshalb als empörend.

 

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Münchener Merkur Politik 30.8.2001

 

Berufung gegen das ''Zigeunerjuden''-Urteil

Friedmann von Justiz enttäuscht

Kempten - Die Staatsanwaltschaft will das umstrittene "Zigeunerjuden"-Urteil des Landgerichts Kempten nicht hinnehmen. Gegen den Freispruch des ehemaligen Republikaner-Chefs im Oberallgäu, Hermann Josef Reichertz, sei Revision eingelegt worden, sagte Oberstaatsanwalt Günter Meltendorf.

Das Gericht hatte Reichertz am Montag in zweiter Instanz von dem Vorwurf freigesprochen, den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, beleidigt zu haben. Reichertz hatte Friedman im November 2000 in einer Presseerklärung als "Zigeunerjude" bezeichnet. Friedman und der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, nannten das Urteil einen Offenbarungseid der deutschen Justiz. "Ich hatte immer gedacht, dass die Gerichte einen Schutzwall für die Opfer darstellen, jetzt ist es ein Schutzwall für die Täter", sagte Friedman.

dpa

 

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