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Stuttgarter Nachrichten Politik 23.6.2001

Deutscher Überfall bleibt für Russen ein Trauma

 

Vor 60 Jahren marschierte die Wehrmacht in die Sowjetunion ein - Putin: Blutigste Etappe des Krieges

 

Moskau - In Millionen russischen Familien lebt auch 60 Jahre nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 das Grauen und Entsetzen weiter. Die Erinnerung an die schreckliche Zeit wird von Generation zu Generation weitergegeben.

VON STEFAN VOSS

 

"Dieser Krieg hat 27 Millionen unserer Landsleute das Leben gekostet, kaum eine Familie blieb von den Verlusten verschont'', sagt der Moskauer Historiker Oleg Rscheschewski. Der 22. Juni 1941 ging als schwärzester Tag in die Geschichte der UdSSR ein.

Mit mehr als 100 Divisionen durchbrach die deutsche Wehrmacht mit ihren Verbündeten die neu entstandene Grenze zur Sowjetunion und überrollte die zur Abwehr unfähige Sowjetarmee. Allein in den ersten beiden Wochen nach dem Überfall gerieten mehr als 300000 sowjetische Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft.

Ihnen folgten Millionen sowjetische Kinder, Frauen und Männer, die nicht in der Armee dienten. Als Zwangsarbeiter mussten die Russen, Ukrainer und Weißrussen im Deutschen Reich zumeist unter unmenschlichen Bedingungen Panzergranaten zusammenbauen, Kohlenwaggons beladen oder auf den Äckern der Bauern schuften. Der 22. Juni 1941 lenkte auch das Schicksal des damals 15-jährigen Boris auf eine schreckliche Bahn. Einige Monate nach dem Überfall nahmen die Invasoren seine Heimatstadt Belgorod 400 Kilometer südwestlich von Moskau ein. "Die Deutschen wüteten schrecklich.

Erschießungen auf offener Straße, überall lagen Leichen'', erinnert sich der kleine, untersetzte Mann.

Mit vielen anderen wurde Boris in einen überfüllten Viehwaggon gesteckt und verschleppt.

Erst als das Deutsche Reich 1945 in Trümmern lag, kehrte der Zwangsarbeiter nach drei Jahren schwerster Fließbandarbeit in einem Industriebetrieb an der Donau und Lagerhaft im Konzentrationslager Dachau in seine Heimat zurück. "Es ist gut, dass wir endlich von den Deutschen entschädigt werden'', sagt Boris, der in Deutschland aber auch auf hilfsbereite Menschen traf. Das Geld, vermutlich einige tausend Mark, kann der Moskauer Rentner gut für das Überleben seiner Familie gebrauchen.

Dass nun, 60 Jahre nach dem Überfall, Bundesregierung und deutsche Wirtschaft mit den ersten Entschädigungszahlungen für ehemalige Zwangsarbeiter beginnen, sehen viele Russen als gutes Zeichen.

Die katastrophale Schwäche der Roten Armee im Sommer 1941 bis heute findet in der öffentlichen Darstellung ebenso wenig Beachtung wie die deutlichen Hinweise auf Stalins eigene Kriegsvorbereitungen. Noch heute lernen russische Schüler, Hitler habe eine "friedliche'' Sowjetunion überfallen. Dass Stalin bereits im Herbst 1939 nach dem Nichtangriffspakt mit Hitler die Rote Armee nach Polen einmarschieren ließ, steht selten in den Geschichtsbüchern.

Zehntausende Russen gedachten am Freitag mit einer Schweigeminute und einer Reihe von Gedenkfeiern des Überfalls von Hitler-Deutschland auf die Sowjetunion vor 60 Jahren. Präsident Putin erinnerte an die "blutigste Etappe'' des Zweiten Weltkrieges: "27 Millionen Gefallene, einen derart hohen Preis hat kein Staat dieser Welt gezahlt'', sagte Putin. "Doch sie haben die Heimat geschützt, ihre Souveränität und ihren Stolz bewahrt und uns eine Zukunft geschenkt, und das werden wir nie vergessen.''

Der 22. Juni war vor fünf Jahren vom damaligen Präsidenten Boris Jelzin zum Gedenktag erklärt worden. Der Kriegseintritt der Sowjetunion im September 1939, als die Rote Armee gemeinsam mit der damals noch verbündeten Wehrmacht Polen überfiel, wird in Russland meist nicht erwähnt.

 

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Potsdamer Neueste Nachrichten Wirtschaft 23.6.2001 0:54

Legende am Ende

 

Russlands Bürger werden zum 60. Jahrestag des deutschen Überfalls erstmals mit Stalins Lügen konfrontiert

Von Elke Windisch

 

Hunderte von Schülern der oberen Klassen waren in der Nacht zum Donnerstag auf Moskaus Straßen unterwegs, um Punkt zwei am Grabmal des unbekannten Soldaten im Alexandergarten vor der Kremlmauer Blumen niederzulegen. Zu eben jener Stunde begann vor genau 60 Jahren der Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion. Bilder aus dem "Großen Vaterländischen Krieg", wie der Zweite Weltkrieg in Russland heißt,machen momentan das Rennen auf allen hiesigen TV-Kanälen. Ehemalige Frontkämpfer legen Orden und Ehrenzeichen an, wenn sie auf die Straße gehen, ein "Zug der Erinnerung" mit dreihundert Veteranen startete letzte Woche vom Moskauer Weißrussischen Bahnhof Richtung Westen. Von dort rollten im Sommer 1941 auch die Züge mit den Soldaten an die Front.

Heute wie damals dröhnt aus den Bahnhofslautsprechern eine Melodie, die den einstigen Frontkämpfern noch immer als Lied aller Lieder gilt: der "Heilige Krieg" von Alexander Alexandrow, dem Autor der umstrittenen alten und neuen Nationalhymne.

Kritische Historiker bestreiten seit langem die offizielle Version, wonach Alexandrow das Lied unmittelbar nach Kriegsbeginn schrieb. Sie meinen, Stalin hätte es schon im Frühjahr '41 in Auftrag gegeben: Mit der wuchtigen Melodie wollte er die Rote Armee in den Kampf schicken, um Europa "vom Joch des Imperialismus zu befreien". Hitler sei nur schneller gewesen.

Eine These, die zu Jahresbeginn auch der Dokumentarist Jewgenij Kisseljow anhand der angeblich auf Angriff ausgerichteten Positionierung der unmittelbar an der Grenze zusammengezogenen sowjetischen Einheiten beweisen wollte. Kisseljows heftig angegriffener Film ist Teil einer landesweiten Diskussion, wie sie bisher noch nie stattfand. Niemand wolle verharmlosen, keiner die 20 Millionen Opfer vergessen, schrieb die "Iswestija". Dennoch sei die Zeit reif, "Licht in das Dunkel der Verstrickung von Wahrheit und Lüge zu bringen." Einige, von der Perestrojka zwar bereits angekratzte, aber nie konsequent demontierte Legenden sacken in der "Iswestija" ruhmlos in sich zusammen. So wurden Einwohner der besetzten Gebiete zitiert, wie die KP-Bonzen beim Nahen der Front ihre Familien in Sicherheit brachten, das Volk aber zum Bleiben zwangen und nach dem Krieg der "Kollaboration mit dem Feind" beschuldigten.

Die Öffentlichkeit müsse sich endlich dazu aufraffen, Stalins Selbstmordbefehle für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter als Kannibalismus und den Gegner als Mensch zu sehen, forderte die "Iswestija" und ging mit gutem Beispiel voran: Sie druckte bisher unveröffentlichte Fotos aus dem eigenen Archiv - darunter auch Bilder, die bei toten und gefangenen deutschen Soldaten gefunden wurden. Die Fotos zeigen einen für die russische Öffentlichkeit weitgehend unbekannten Krieg: Brot und Suppe verteilende Wehrmachtssoldaten oder - bislang ein Tabu - Bewohner des 1939 von Moskau annektierten Ost-Polens, der "Westukraine", die den Feind als Befreier mit Brot und Salz begrüßen. Die Bilder sind Teil einer gerade eröffneten Ausstellung mit erst kürzlich frei gegebenen, teilweise sensationellen Dokumenten. Darunter auch Tagebücher von Sowjetsoldaten, die trotz drohender standrechtlicher Erschießung ihre Darstellung der Ereignisse heimlich zu Papier brachten.

 

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Net-Zeitung Vermischtes 23.6.2001 0:42

Trauma auch nach 60 Jahren

 

Russlands schwärzester Tag: Vor sechzig Jahren begann das Unternehmen Barbarossa, der deutsche Überfall auf die Sowjetunion.

MOSKAU. In Millionen russischen Familien lebt auch 60 Jahre nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 das Grauen und Entsetzen weiter. «Die Erinnerung an die schreckliche Zeit wird von Generation zu Generation weitergegeben, sie verblasst nur langsam», sagt der Moskauer Historiker Oleg Rscheschewski. «Dieser Krieg hat 27 Millionen unserer Landsleute das Leben gekostet, kaum eine Familie blieb von den Verlusten verschont.»

 

Zur Zwangsarbeit verschleppt

Der 22. Juni 1941 ging als schwärzester Tag in die Geschichte der Sowjetunion ein. Mit mehr als 100 Divisionen durchbrach die deutsche Wehrmacht mit ihren Verbündeten die neu entstandene Grenze zur Sowjetunion und überrollte die zur Abwehr unfähige Sowjetarmee.

Allein in den ersten beiden Wochen nach dem Überfall gerieten mehr als 300.000 sowjetische Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft.

Ihnen folgten Millionen sowjetische Kinder, Frauen und Männer, die nicht in der Armee dienten. Als Zwangsarbeiter mussten die Russen, Ukrainer und Weißrussen im Deutschen Reich zumeist unter unmenschlichen Bedingungen Panzergranaten zusammenbauen, Kohlenwaggons beladen oder auf den Äckern der Bauern schuften.

 

Auf offener Straße erschossen

Der 22. Juni 1941 lenkte auch das Schicksal des damals 15-jährigen Boris auf eine schreckliche Bahn.

Einige Monate nach dem Überfall nahmen die Invasoren seine Heimatstadt Belgorod 400 Kilometer südwestlich von Moskau ein. «Die Deutschen wüteten schrecklich. Erschießungen auf offener Straße, überall lagen Leichen», erinnert sich der kleine, untersetzte Mann heute.

Gemeinsam mit Dutzenden anderen Menschen wurde Boris in einen überfüllten Viehwaggon gesteckt und ins Deutsche Reich verschleppt. Erst als dieses 1945 in Trümmern lag, kehrte der Zwangsarbeiter in seine Heimat zurück.

Drei Jahre schwerster Fließband-Arbeit in einem Industriebetrieb an der Donau und Haft im Konzentrationslager Dachau lagen hinter ihm. «Es ist gut, dass wir endlich von den Deutschen entschädigt werden», sagt Boris, der in Deutschland aber auch auf hilfsbereite Menschen traf. Das Geld, vermutlich einige tausend Mark, kann der Moskauer Rentner gut für das Überleben seiner Familie gebrauchen.

Russland baut noch Sieges-Denkmäler

Dass nun, 60 Jahre nach dem deutschen Überfall, Bundesregierung und deutsche Wirtschaft mit den ersten Entschädigungszahlungen für ehemalige Zwangsarbeiter beginnen, sehen viele Russen als gutes Zeichen. Vor allem in der Generation der russischen Kriegsteilnehmer, der heutigen Rentner, sind die Vorbehalte auch ein Jahrzehnt nach dem Ende des Kalten Krieges noch groß. «Der Versöhnungsprozess zwischen Russen und Deutschen geht langsam, man sollte dabei nichts überstürzen», sagt der Historiker Rscheschewski.

Während der 22. Juni alljährlich Anlass zur stillen Trauer gibt, wird der 9. Mai bis heute als Tag des Sieges über Hitler-Deutschland bejubelt. Die Sowjetunion instrumentalisierte bis zuletzt die Zerschlagung des Faschismus als Beweis für die Überlegenheit des kommunistischen Systems. Auch das unabhängige Russland baut fünf Jahrzehnte nach Kriegsende noch pompöse Sieges-Denkmäler.

 

«Mit Menschenfleisch besiegt»

Dagegen findet die katastrophale Schwäche der Roten Armee im Sommer 1941 bis heute in der öffentlichen Darstellung ebenso wenig Beachtung wie die deutlichen Hinweise auf Stalins eigene Kriegsvorbereitungen. Noch heute lernen russische Schüler, Hitler habe eine «friedliche» Sowjetunion überfallen. Dass Stalin bereits im Herbst 1939 nach dem Nichtangriffspakt mit Hitler die Rote Armee nach Polen einmarschieren ließ, steht selten in den Geschichtsbüchern.

Den Lobeshymnen auf die Sowjetmacht im Zweiten Weltkrieg widersprechen nur wenige Russen wie der Wissenschaftler und Kriegsteilnehmer Alexander Jakowlew (77). Stalin habe Millionen schlecht ausgerüstete Soldaten mit einem «Hurra» auf den Lippen gegen den kriegserfahrenen Feind anrennen lassen, sagt der Wegbegleiter des sowjetischen Ex-Präsidenten Michail Gorbatschow. «Wir haben die Faschisten vor allem mit »Menschenfleisch« besiegt, mit Bergen von Leichen», lautet das Fazit Jakowlews.

(nz/dpa)

 

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Kieler Nachrichten Lokales 22.6.2001

Gedenken an deutschen Überfall

 

Zum Gedenken an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion vor 60 Jahren legten Oberbürgermeister Norbert Gansel und der Vorsitzende der Deutsch-Russischen Gesellschaft, Hans-Friedrich Möller, gestern am Ehrenmal für 172 Sowjetbürger auf dem Friedhof Eichhof Kränze nieder. Neben weiteren Mitgliedern der Deutsch-Russischen Gesellschaft nahmen Stadtpräsidentin Cathy Kietzer und der Kieler Propst Knut Mackensen an der Gedenkfeier teil. "Wir wollen und dürfen unsere Geschichte nicht vergessen. Gerade auch, wenn wir Grund zum Feiern haben", sagte der Oberbürgermeister. "Denn das Wichtigste zur Kieler Woche ist der Frieden, der uns fröhlich sein lässt." Christliche Friedensgruppen hatten die Gräber russischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter mit Blumen geschmückt. Gemeinsam mit Bürgermeisterin Annegret Bommelmann und Pastor Matthias Wünsche gestalteten Mitglieder der Friedensgruppen auch eine Andacht in der Nikolai-Kirche, an der Besatzungsmitglieder der russischen Segelschiffe "Mir" und "Kruzenshtern" sowie der "Khersones" aus der Ukraine teilnahmen. Während der Kranzniederlegung auf dem Eichhof-Friedhof hatten die Glocken von St. Nikolai fünf Minuten zum Gedenken an die Opfer des Krieges geläutet. (IN) Foto vr

Kieler Nachrichten vom 23.06.2001

 

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Tagesspiegel Politik 22.6.2001

Russland: Legende am Ende

 

Russlands Bürger werden zum 60. Jahrestag des deutschen Überfalls erstmals mit Stalins Lügen konfrontiert

Elke Windisch

 

Hunderte von Schülern der oberen Klassen waren in der Nacht zum Donnerstag auf Moskaus Straßen unterwegs, um Punkt zwei am Grabmal des unbekannten Soldaten im Alexandergarten vor der Kremlmauer Blumen niederzulegen. Zu eben jener Stunde begann vor genau 60 Jahren der Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion. Bilder aus dem "Großen Vaterländischen Krieg", wie der Zweite Weltkrieg in Russland heißt, machen momentan das Rennen auf allen hiesigen TV-Kanälen. Ehemalige Frontkämpfer legen Orden und Ehrenzeichen an, wenn sie auf die Straße gehen, ein "Zug der Erinnerung" mit dreihundert Veteranen startete letzte Woche vom Moskauer Weißrussischen Bahnhof Richtung Westen. Von dort rollten im Sommer 1941 auch die Züge mit den Soldaten an die Front.

Heute wie damals dröhnt aus den Bahnhofslautsprechern eine Melodie, die den einstigen Frontkämpfern noch immer als Lied aller Lieder gilt: der "Heilige Krieg" von Alexander Alexandrow, dem Autor der umstrittenen alten und neuen Nationalhymne.

Kritische Historiker bestreiten seit langem die offizielle Version, wonach Alexandrow das Lied unmittelbar nach Kriegsbeginn schrieb. Sie meinen, Stalin hätte es schon im Frühjahr '41 in Auftrag gegeben: Mit der wuchtigen Melodie wollte er die Rote Armee in den Kampf schicken, um Europa "vom Joch des Imperialismus zu befreien". Hitler seinur schneller gewesen.

Eine These, die zu Jahresbeginn auch der Dokumentarist Jewgenij Kisseljow anhand der angeblich auf Angriff ausgerichteten Positionierung der unmittelbar an der Grenze zusammengezogenen sowjetischen Einheiten beweisen wollte. Kisseljows heftig angegriffener Film ist Teil einer landesweiten Diskussion, wie sie bisher noch nie stattfand. Niemand wolle verharmlosen, keiner die 20 Millionen Opfer vergessen, schrieb die "Iswestija". Dennoch sei die Zeit reif, "Licht in das Dunkel der Verstrickung von Wahrheit und Lüge zu bringen." Einige, von der Perestrojka zwar bereits angekratzte, aber nie konsequent demontierte Legenden sacken in der "Iswestija" ruhmlos in sich zusammen. So wurden Einwohner der besetzten Gebiete zitiert, wie die KP-Bonzen beim Nahen der Front ihre Familien in Sicherheit brachten, das Volk aber zum Bleiben zwangen und nach dem Krieg der "Kollaboration mit dem Feind" beschuldigten.

Die Öffentlichkeit müsse sich endlich dazu aufraffen, Stalins Selbstmordbefehle für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter als Kannibalismus und den Gegner als Mensch zu sehen, forderte die "Iswestija" und ging mit gutem Beispiel voran: Sie druckte bisher unveröffentlichte Fotos aus dem eigenen Archiv - darunter auch Bilder, die bei toten und gefangenen deutschen Soldaten gefunden wurden. Die Fotos zeigen einen für die russische Öffentlichkeit weitgehend unbekannten Krieg: Brot und Suppe verteilende Wehrmachtssoldaten oder - bislang ein Tabu - Bewohner des 1939 von Moskau annektierten Ost-Polens, der "Westukraine", die den Feind als Befreier mit Brot und Salz begrüßen. Die Bilder sind Teil einer gerade eröffneten Ausstellung mit erst kürzlich frei gegebenen, teilweise sensationellen Dokumenten. Darunter auch Tagebücher von Sowjetsoldaten, die trotz drohender standrechtlicher Erschießung ihre Darstellung der Ereignisse heimlich zu Papier brachten.

 

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Nürnberger Nachrichten Politik 23.6.2001

Kommentar: Narben, die noch lange bleiben

 

Hitlers Krieg ragt hinein in Gegenwart und Zukunft

Von Alexander Jungkunz

 

Wann denn „endlich" einmal Schluss sei, fragen viele mit Blick auf die Debatten um die deutsche Vergangenheit. Dabei wird gerade dieser Tage augenfällig, wie sehr, wie massiv der Zweite Weltkrieg und das Hitler-Regime hineinragen in die Gegenwart.

Die Erinnerungen an den Überfall der Nazis auf die Sowjetunion vor 60 Jahren sind bei vielen Russen (und Angehörigen anderer Nationen) höchst lebendig – ebenso wie das Gedenken an die deutschen Opfer: Kaum ein Dorf ohne Mahnmal, kaum ein Gasthaus ohne die Fotos der Toten – dieser Krieg war ein Einschnitt, wie es ihn brutaler noch nie gegeben hat, mit Narben, die noch lange bleiben.

Seine Spuren sind abzulesen. In Gesichtern. Oder an Tätowierungen: „KL" steht zum Beispiel auf dem Unterarm von Siegfried Grünebaum, den die Nazis als 14jährigen durch halb Osteuropa schleppten und dann als Zwangsarbeiter schindeten. Nun, gut 55 Jahre nach Kriegsende, erhielt er bei einem symbolischen Akt zusammen mit anderen Überlebenden und stellvertretend für viele Leidensgefährten seine Entschädigung – endlich. Es war Hitler, der den Krieg begann. Und es war Hitler, der Stalin überrumpelte – jenen anderen Diktator und Massenmörder des 20. Jahrhunderts, mit dem er sich zuvor verbündet hatte.

Geführt wurde ein Vernichtungskrieg gegen „Untermenschen" im Osten.

Wenn es denn eine Lehre aus der Geschichte geben soll, dann darf das nicht vergessen, nicht verdrängt werden. Doch genau das geschieht, wenn zum Beispiel in Akademiker-Kreisen stramm nationalistische Töne angeschlagen werden, wenn sich Rechtsextreme teils mit Erfolg anschicken, an den Unis Fuß zu fassen – siehe die Geschehnisse um die Münchner Burschenschaft Danubia.

Wer sich ähnlich wie Hitlers vermeintliche „Herrenmenschen" über andere erhebt, der konserviert jene Feindbilder, deren allmähliche Überwindung wir derzeit beim schwierigen und nach all dem Leid erstaunlich raschen Zusammenwachsen ganz Europas erleben.

 

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Nürnberger Nachrichten Lokales 23.6.2001

Bürgerbewegung erinnerte an Überfall auf Sowjetunion

 

Aufruf zur Versöhnung

„Ein dunkler Tag der Weltgeschichte" – Kränze niedergelegt

 

Mit einer Gedenkstunde auf dem ehemaligen „Russenfriedhof" in Langwasser hat die Bürgerbewegung für Menschenwürde in Mittelfranken an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion vor 60 Jahren erinnert.

Der Vorsitzende der Bürgerbewegung, der frühere bayerische Landesbischof Hermann von Loewenich, rief dazu auf, das Gedenken an den am 22. Juni 1941 von Deutschland ausgegangenen „Wahnsinnskrieg" im Zeichen der Versöhnung mit den Völkern der ehemaligen Sowjetunion zu begehen.

Vor etwa 100 Bürgern und mehreren Mitgliedern des Stadtrats warnte er besonders junge Menschen davor, sich „von rechtsradikalen oder neonazistischen Rattenfängern verführen" zu lassen. „Wer heute Hakenkreuze an Wände schmiert, muss wissen, dass er sich damit zu dem Zeichen bekennt, das unser Volk in die Katastrophe geführt hat", sagte von Loewenich. Oberbürgermeister Ludwig Scholz hatte den 22. Juni 1941 zuvor als „dunklen Tag der Weltgeschichte" bezeichnet, an den zu erinnern Nürnberg eine „besondere moralische Pflicht" habe.

Hermann von Loewenich gedachte auch der rund 24 000 russischen Zwangsarbeiter, die während des Krieges in Nürnberger Betrieben eingesetzt waren. Den heute noch lebenden Zwangsarbeitern wünschte er, dass die Entschädigungszahlungen sie möglichst rasch erreichen, und „gesundheitliche Kraft, um damit noch etwas Schönes anzufangen." Auf dem „Russenfriedhof" neben der Passionskirche in Langwasser waren während des Kriegs über 800 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, überwiegend aus Russland, beerdigt worden. 1958 wurde der Friedhof aufgelöst und die Toten in den Südfriedhof umgebettet.

Im Anschluss an die Gedenkstunde legten Hermann von Loewenich und Ludwig Scholz einen Kranz an der Gedenktafel des „Russenfriedhofs" nieder. Zuvor hatte die Bürgerbewegung für Menschenrechte bereits am Ehrenmal im Luitpoldhain und am Gräberfeld für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter am Südfriedhof Kränze niedergelegt.

Stefan Kinner

 

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russische Kriegsgefangene

 

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Neues Deutschland: 16.6.2001

Geschichte: »Hitler ist nicht ein solcher Dummkopf«

 

Vor 60 Jahren: Stalins Illusionen am Vorabend des Krieges

Von Prof. Dr. Günter Rosenfeld

 

Es ist auch die im Juli von den Deutschen veröffentlichte Erklärung zu erwähnen, dass die Interessen Deutschlands durch die Ereignisse im Baltikum (Proklamation der Sowjetmacht in Litauen, Lettland und Estland) nicht berührt werden. Nichtsdestoweniger warf Deutschland nach dem Sieg über Frankreich eilig große Truppeneinheiten an die sowjetischen Grenzen und begann dort Befestigungen zu bauen.« So heißt es im Jahresbericht für 1940, den der sowjetische Botschafter in Berlin, W. G. Dekanosow, Anfang 1941 nach Moskau sandte. Nicht zufällig hatte gerade er am 26. November 194O, in einer zwischen Moskau und Berlin gespannter gewordenen Situation, seinen seit September 1939 amtierenden Vorgänger A. A. Schkwarzew abgelöst. Schien doch Dekanosow, als Gewährsmann L. P. Berijas, Leiter des Auslandsgeheimdienstes (INO) des NKWD, jetzt der richtige Mann auf dem so wichtig gewordenen Posten zu sein. Der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag sowie der Grenz- und Freundschaftsvertrag, so Dekanosow, seien unter der deutschen Bevölkerung weiter populär. Doch kämen nicht auch selten Zweifel an dessen Dauerhaftigkeit, da viele Deutsche annähmen, dass Hitler seinen Plan eines »Feldzuges gegen den Osten« nicht aufgegeben habe. Dekanosow hatte allen Grund, mit Sorge an die Zukunft zu denken.

Mit der Entscheidung vom 31. Juli 1940, die Sowjetunion anzugreifen, entsprach Hitler seiner langgehegten Zielsetzung. Der Krieg gegen den »jüdischen Bolschewismus« und die als minderwertig bezeichnete »slawische Rasse« sollte ein »Vernichtungskrieg« sein. Demgegenüber war Stalin bestrebt, die durch den Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 und mit dem Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939 bekräftigte Zusammenarbeit mit Deutschland fortzusetzen. Allerdings wurde es für ihn zunehmend schwieriger, sich aus dem Krieg herauszuhalten. Und es war sehr fraglich, ob sich seine am 7. September 1939 gegenüber Georgi Dimitroff geäußerte Hoffnung, dass sich die beiden kriegführenden Gruppierungen gegenseitig so sehr schwächten, dass er, Stalin, schließlich als lachender Dritter auf den Plan treten könnte, erfüllen würde.

Jedenfalls widersetzte sich Stalin den Angeboten der britischen Regierung nach verstärkter Zusammenarbeit, die ihm durch den am 12. Juni 1940 in Moskau eingetroffenen neuen britischen Botschafter Sir Stafford Cripps herangetragen wurden. Dennoch war es wohl nicht nur eine Loyalitätsbekundung gegenüber dem Pakt-Partner, als Molotow dem deutschen Botschafter zwei Wochen nach der Unterredung zwischen Stalin und Cripps vom 1. Juli 1940 eine ausführliche Information über den Inhalt dieser Unterredung übermittelte. Gab Stalin doch damit zu verstehen, dass er noch ein anderes Eisen im Feuer hatte, auch wenn er von diesem keinen Gebrauch machte. Überdies war sich Stalin darüber klar, dass man ihm in London kaum jene territorialen Besitzerweiterungen im Westen der Sowjetunion, schon gar nicht die Okkupation eines großen Teils von Polen, zugestehen würde, über die er sich mit Hitler in dem Geheimen Zusatzprotokoll zum Nichtangriffspakt geeinigt hatte.

Aber gerade dieser Umstand führte seit Juli 1940 zu einer merklichen Abkühlung der Beziehungen zwischen Moskau und Berlin. Mit Missgunst verfolgte man in Berlin die Annexion des Baltikums durch Moskau Mitte Juni 1940, auch wenn man sich mit dieser offiziell einverstanden erklären musste. Dasselbe betraf die Angliederung Bessarabiens und, für Hitler unerwartet, auch der Nordbukowina an die UdSSR. Stand doch das Bemühen Stalins, seinen Einfluss auf den Donauraum und in Südosteuropa bis hin zu den Dardanellen auszudehnen, den Aufmarschplänen Hitlers entgegen. Die durch Hitler Ende August 1940 von Rumänien erzwungene Abtretung Siebenbürgens an Ungarn und im September auch der Süddobrudscha an Bulgarien, wurde wiederum im Kreml mit Erbitterung aufgenommen. Denn diese widersprachen den Vereinbarungen vom 23. August 1939. Auch in Finnland, das im Geheimprotokoll als sowjetische Einflusssphäre bezeichnet worden war, stießen die Interessen der beiden Mächte aufeinander.

Angesichts dieser im Herbst 1940 zwischen Berlin und Moskau zugenommenen Spannungen konnte die von Ribbentrop entwickelte und von Hitler kaum ernst genommene »Kontinentalblock«-Konzeption, die die Einbeziehung der UdSSR in den am 27. September 1940 zwischen Berlin, Rom und Tokio abgeschlossenen Dreimächtepakt vorsah, von Stalin nur mit größter Skepsis beurteilt werden. Jedenfalls wollte er genauer wissen, wie es um diese Pläne stand, und entsandte daher seinen engsten Vertrauten, Molotow, am 12. November 1940 nach Berlin. Aus seinen Gesprächen mit Hitler und Ribbentrop zog Molotow den Schluss, dass Hitler an einer wirklichen Zusammenarbeit mit Moskau auf der Grundlage der abgeschlossenen Verträge kaum interessiert war. Hitler ordnete denn auch am ersten Tag des Molotow-Besuches in einer Weisung an, dass »alle schon mündlich befohlenen Vorbereitungen für den Osten fortzuführen« seien. Bei der Auswertung seiner Berliner Gespräche im Politbüro am 15. November sagte daher Molotow, wie eine Mitte der 90er Jahre veröffentlichte Aufzeichnung besagt, dass »das von der faschistischen Führung arrangierte Treffen nur der Demonstration« gedient und die Gefahr einer Aggression Deutschlands »in naher Zukunft unglaublich zugenommen« habe. Nichtsdestoweniger ließ Stalin dem deutschen Botschafter am 25. November eine Note überreichen, in der er sich bereit erklärte, »unter bestimmten Bedingungen« dem Dreimächtepakt beizutreten. Dazu sollten v.a. die Sicherung sowjetischer Einflusssphären in Südosteuropa sowie die Rücknahme der deutschen Truppen aus Finnland gehören. Hitler ließ sie unbeantwortet.

Es hätte nun freilich nicht erst des Molotow-Besuches in Berlin bedurft, damit sich die sowjetische Führung von den Angriffsabsichten Hitlers ein Bild machen konnte. Denn seit Herbst vermehrten sich die Nachrichten über die deutschen Angriffsvorbereitungen, die über verschiedene Kanäle in den Kreml gelangten. Es ist viel darüber gerätselt worden, weshalb Stalin alle diese Warnungen nicht ernst nahm. Er glaubte nicht, dass sich Hitler auf ein solches für ihn gefährliches Abenteuer einlassen werde. »Deutschland ist bis über die Ohren in den Krieg im Westen verstrickt, und ich glaube nicht, dass es Hitler riskiert, sich eine zweite Front aufzubauen, indem er die Sowjetunion überfällt. Hitler ist nicht ein solcher Dummkopf, um nicht zu begreifen, dass die Sowjetunion nicht Polen, nicht Frankreich und sogar nicht einmal England und alle zusammen genommen ist.« So gibt G. K. Shukow, damals Generalstabschef der Roten Armee und danach Stalins wichtigster Heerführer, die Äußerungen Stalins in einer Besprechung vom 15. Juni 1941 in seinen Memoiren (1995) wieder.

Stalins Fehleinschätzung der militärisch-politischen Situation vor Kriegsbeginn sei »unerklärlich«, so schreibt Anastas Mikojan, Mitglied des Politbüros und einer der wenigen Duzfreunde Stalins, in seinen 1999, erst 21 Jahre nach seinem Tod, veröffentlichten Erinnerungen. Stalin habe den Krieg vermeiden wollen und nicht angenommen, dass er so bald kommen werde. »Wir versuchten ihn umzustimmen, aber das war unmöglich.«

Unter den Historikern wurde in den letzten Jahren vielfach die Rede Stalins vor den Absolventen der Militärakademie am 5. Mai 1941 diskutiert, deren Text über Jahrzehnte geheim blieb. Stalin forderte in dieser Rede, dass die Rote Armee von der Verteidigung zur »Militärpolitik von offensiven Handlungen« übergehen und dass man Propaganda, Agitation und Erziehung in »offensivem Geist« umgestalten müsse. Gleichzeitig suchte er den Nimbus der deutschen Wehrmacht herabzusetzen. Offenbar kam es Stalin darauf an, die Kampfkraft der Rotarmisten und die Verteidigungsbereitschaft der Sowjetbürger zu stärken und zugleich das Ausland – einiges vom Inhalt der Rede sickerte zu den ausländischen Botschaften durch – vor einer Unterschätzung der sowjetischen Verteidigungsfähigkeit zu warnen. Stalin auf Grund dieser Rede die Absicht eines Krieges gegen Deutschland zu unterstellen, wie es die Apologeten der Präventivkriegsthese Hitlers tun, ist absurd.

Die Rede Stalins führte zwar dazu, dass nunmehr verstärkte Anstrengungen zur Verteidigungsbereitschaft der UdSSR unternommen wurden. Dennoch verhielt sich Stalin gegenüber allen Plänen Shukows und des Volkskommissars für Verteidigung, S. K. Timoschenko, die auf die Erhöhung der Kampfbereitschaft der sowjetischen Truppen in den Westbezirken abzielten, weiterhin äußerst zurückhaltend. Einen im sowjetischen Generalstab bis zum 15. Mai 1941 in neuer Variante erarbeiteten Plan für einen möglichen Präventivschlag, um »dem deutschen Oberkommando unter keinen Umständen die Initiative zu überlassen«, wies Stalin rigoros zurück. Erst am 21. Juni ließ er sich von Shukow und Timoschenko den Text einer Direktive abringen, um die Truppen der sowjetischen Westbezirke in Kampfbereitschaft zu setzen. Für deren Realisierung aber war es bereits zu spät. Stalin fürchtete einen Krieg auch deshalb, weil er sich spätestens nach dem Fiasko der Roten Armee im Krieg gegen Finnland im Winter 1939/40 über die Unzulänglichkeit der Kampftüchtigkeit der sowjetischen Streitkräfte klar geworden war. Inwieweit er dabei daran dachte, dass er selbst durch die Vernichtung von etwa 40000 Führungskräften der Roten Armee 1937/1938 deren Kampfkraft ernsthaft geschwächt hatte, sei dahingestellt.

Auch noch in den Morgenstunden des 22. Juni 1941, als die Mitglieder des Politbüros sowie Timoschenko und Shukow sich im Kabinett Stalins versammelten, wollte Stalin nicht wahrhaben, dass der Krieg Tatsache geworden war. Er sperrte sich zunächst gegen den Vorschlag, den Streitkräften den Befehl zum Gegenschlag zu geben, wollte erst den Bericht Molotows über dessen Gespräch mit Schulenburg abwarten.

Er wertete, so Shukow, den Angriff als eine Provokation deutscher Generäle: »Hitler weiß wahrscheinlich darüber nichts.« Vom Überfall aufs Tiefste getroffen, fand Stalin nur schwer seine Fassung wieder. Dass der Diktator, dessen Repressionsmaschine auch nach dem 22. Juni nicht davor halt machte, Sowjetbürger in den GULAG oder in die Verbannung zu schicken, jetzt zur Symbolfigur der Verteidigung wurde, war eine bittere Ironie der Geschichte. Letztlich wandelten Opfermut und Widerstandskraft der Menschen des großen Landes die Katastrophe des 22. Juni 1941 in den Sieg um. (ND 16.06.01)

 

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Neues Deutschland: 20.6.2001

Das Gewicht der Erinnerung

 

Konferenz zum 60. Jahrestag des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion

Von Kurt Pätzold

 

Wer sich nur ein wenig in der jüngsten Fachliteratur über den Zweiten Weltkrieg auskennt, hat bemerkt, dass auch die jüngere deutsche Historikergeneration dabei ist, auf diesem Forschungsfeld Pflöcke einzuschlagen – mit neuen Fragestellungen und deren Verfolgung durch ausdauernde Archivstudien. Das zeigte sich auch auf einer zweitägigen Konferenz, die am vergangenen Wochenende gemeinsam vom Deutsch-Russischen Museum in Karlshorst und der Berliner Gesellschaft für Faschismus und Weltkriegsforschung veranstaltet wurde.

Im letzten Jahrzehnt wurden vor allem Arbeiten zur deutschen Besatzungspolitik auf dem eroberten Territorium (mit den Schwerpunkten Juden- und Kriegsgefangenenmord) vorgelegt sowie Studien zur Verschleppung der Einwohner ins Reichsgebiet, der so genannten Ostarbeiter und Ostarbeiterinnen, die schamlos und massenweise bis auf den Tod ausgebeutet wurden. Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die ohnehin nur gestenhaften, nichtsdestoweniger materiell wie moralisch wichtigen Zahlungen an Opfer dieser faschistisch-imperialistischen Politik gewannen regional- und lokalgeschichtliche Anstrengungen an politischer Bedeutung. Von einer solchen wurde auf der Konferenz am Beispiel der Stadt Osnabrück berichtet (Michael Gander). Historiker können helfen, Verständnis zu wecken wie auch Druck auszuüben, damit getan werde, was längst hätte geschehen sein sollen. Und sie vermögen, wie an den Leidenswegen der sowjetischen Kriegsgefangenen durch Reinhard Otto (Lemgo) und Pavel Poljan (Moskau) gezeigt wurde, die Schande zu verdeutlichen, dass Politiker die Zuwendungen mit fadenscheinigen Begründungen hinauszögerten.

Eröffnet worden war die Konferenz mit einem Referat von Oleg V. Vislev (Moskau), der die Lüge von einem damals bevorstehenden sowjetischen Angriff, dem Hitler angeblich zuvor gekommen sei, überzeugend zurückwies. Dass solch ein Referat nötig war, sagte etwas über die aktuellen geschichtspolitischen Zustände in Deutschland aus. Immer wieder und immer noch wird versucht, die Frage für unentscheidbar zu erklären: Ja, gewiss, Hitler wollte die UdSSR überfallen, aber hätte nicht Stalin doch...? Wenn nicht 1941, dann 1942. Die an solchem Bilde pusseln und gern Feldherren am historischen Sandkasten spielen, wissen jedoch keinen Grund zu nennen, mit welchen Zielen der Diktator im Kreml im Wissen um die Schwäche der eigenen Armee sich zu einem Angriff hätte entschließen sollen.

Von den deutschen Planungen und Zielen hingegen berichtete Dietrich Eichholtz (Borkheide), der insbesondere die Expansionslinie »Erdöl« nachzeichnete und auf die von Hermann J. Abs 1942 angemeldeten Ansprüche verwies, sich nach dem Sieg nicht nur im Kaukasus, sondern auch am Persischen Golf festzusetzen. Dass um dieser Ziele Willen den planenden, dann kommandierenden deutschen Militärs jedes Mittel Recht war, belegten Christian Gerlach (Berlin), Gerhart Hass (Rangsdorf) sowie Peter Klein und Andres Angrick (beide Berlin). Letztere sind mit Forschungen befasst, um die Konzeption zur Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht« zu überarbeiten, die nach längerer Pause im Herbst des Jahres wieder zu sehen sein wird.

Der Hausherr des gastgebenden Museums, Peter Jahn, hatte die Konferenz u.a. mit der Feststellung eröffnet, dass sich zwischen der Aufmerksamkeit, welche das deutsche Datum des 13. August fände, und der Hinwendung zur Erinnerung an den 22. Juni 1941 – Ereignisse von sehr unterschiedlichem Gewicht –, derzeit ein eklatantes Missverhältnis beobachten lasse. Wie wahr! Und wie wenig zufallsbestimmt. Politikern bliebe vom Erscheinen dieses Berichtes an noch zweimal vierundzwanzig Stunden Zeit, dieses Missverhältnis wenigstens partiell noch zu korrigieren. (ND 20.06.01)

 

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